Vortrag des Jahres 2012
Veranstaltungsort
Haus der WissenschaftRaum Veolia
Pockelsstrasse 11
38106 Braunschweig, Deutschland
Beschreibung
Erstaunliche Einsichten der Gehirnforschung
Referent: Prof. Dr. Korte stellte neue
Erkenntnisse über das Lernen, Erinnern und Vergessen vor.
Wie funktioniert eigentlich unser Gehirn?
Welche neuen Einsichten der Hirnforschung können wir nutzen, um einfacher Neues zu lernen?
Diese spannenden Themen standen am 8. November beim traditionellen Vortrag des Jahres von VDI, VDE und GI in der Aula des Hauses der Wissenschaft in Braunschweig im Mittelpunkt. Unsere GI-Regionalgruppe Braunschweig hatte den renommierten Hirnforscher Professor Dr. Martin Korte als Referenten gewinnen können. Korte, Leiter des Instituts für Zelluläre Neurobiologie der TU Braunschweig, ist einer der meistzitierten deutschen Neurobiologen.
Einem breiten Publikum ist Prof. Korte durch seine Auftritte in den ARD-Shows „Der klügste Deutsche“ und „Deutschlands größter Gedächtnistest“ bekannt, bei denen er auch die Aufgaben entwickelt hat. Im Vortrag bot Korte den rund 190 Zuhörern erstaunliche und auch unterhaltsame Einsichten in die Hirnforschung und gab praktische Tipps, wie man seine geistige Leistungsfähigkeit trainieren kann.
Zu Beginn seines Vortrags stellte Korte die Frage in den Raum, wozu Hirnforschung eigentlich gut sei und wo ihre praktische Bedeutung liege. Tatsächlich sei es so, das die kognitiven Eigenschaften wie Denken, Gedächtnis und Persönlichkeit ebenso ein Produkt des Gehirns sind wie Gefühle, Verstand und Vernunft. Alles was wir im Außen erleben, sei letztlich ein Vorgang im Gehirn, der durch die Hirnforschung transparenter wird.
Korte wählte einen witzigen Einstieg in das Thema und spielte auf seinen Hintergrund in der Zoologie an. Er zeigte ein Experiment, in dem junge Schimpansen eine erheblich bessere Gedächtnisleistung als Studenten haben und Zahlenfolgen wesentlich schneller erfassen. Die Gedächtnisleistung älterer Schimpansen hingegen ist nicht mehr besser als die der Menschen. Auch beim Menschen ist die Wahrnehmungsgeschwindigkeit und Kapazität des Kurzzeitgedächtnisses in der Jugend hoch und nimmt mit dem Alter ab. Ältere Menschen sind im Vergleich zu Jüngeren jedoch deutlich besser darin, Wichtiges von Unwichtigem zu trennen und sich auf die entscheidenden Aspekte einer Situation zu konzentrieren.
Der Vortrag gab dann eine Übersicht über die Hirnanatomie und stellte das “Neuronale Denkstübchen“ des Menschen vor. Mit dem Lernen verändere sich die neuronale Struktur im Gehirn. Mit MRT-Aufnahmen konnte das am Beispiel einer Person auch gezeigt werden, die das Jonglieren mit Bällen über Monate hinweg übt. Sie trainiert damit genau jene Hirnareale, die für Hände und Augen zuständig sind. „Wer ein Leben lang lernt, bildet immer neue Nervenzellen“, so Korte.
Korte ging dann auf förderliche und störende Bedingungen für das Hirn ein. Ständige Unterbrechungen und das dauernde Hin und Her zwischen Projekten oder Aufgaben stören die Konzentrationsfähigkeit. Das Hirn brauche fast 15 Minuten, um sich auf eine neue Aufgabe einzustellen und sein optimales Denk- und Arbeitstempo zu erreichen, so Korte. Bei zu viel Stress und Multitasking schaltet das Gehirn die Arbeitseffektivität herunter und Gedächtnisprobleme stellen sich ein. Unsere Multitaskingfähigkeit nimmt darüberhinaus ab dem 25 Lebensjahr ab. Für die Entwicklung einer hohen Gedächtnisleistung sind vielfältige Wahrnehmungserfahrungen wichtig. Je mehr Erfahrungen wir machen, desto differenzierter denken und sehen wir.
Hilfestellungen können dem Arbeitsgedächtnis die Arbeit erleichtern. Korte machte dazu einige Übungen mit dem Publikum, die verdeutlichten, mit welchen Tricks sich Zahlen- und Buchstabenreihen leichter merken lassen. Hier kam während des Vortrags eine Stimmung auf, die an Kortes unterhaltsame Auftritte in den ARD-Quizzsendungen erinnerte. Korte erklärte dann, dass Kategoriebildung und geografische Assoziationen hilfreiche Tricks sind. Neue Informationen sollten am besten in ein vorhandenes Wissenssystem integriert werden. „Unser Gedächtnis arbeitet assoziativ, aber nicht fehlerfrei“, sagte Korte. „Es kann durchaus zu falschen Erinnerungen kommen. Erinnerungen sind nicht langzeitstabil, sie können sich verändern.“
Nicht zu unterschätzen sind auch die Auswirkungen von motorischen Bewegungen. Sie wirken sich positiv auf den Erhalt und den Aufbau von Gehirnfunktion und -anatomie aus. Die Forschung zeige, dass von allen kognitiven Fähigkeiten vor allem das Gedächtnis von Bewegung profitiert. Das ist selbst für Neurowissenschaftler ein überraschender Befund.
Korte wies auf die Wichtigkeit einer Fehlerkultur in den Unternehmen hin, um erfolgreich Veränderungsprozesse durchführen zu können. Lockeres Assoziieren, das Lernen und Arbeiten erleichtern würde, werde durch Angst blockiert, während positive Emotionen und eine lockere Atmosphäre förderlich wirkten. Je mehr Fehler man mache, desto mehr lerne man. „Das setzt jedoch ein sehr dynamisches Selbstbild voraus, das sich nicht am Erreichten orientiert, sondern am Neuen“, so Korte.
In der anschließenden Fragerunde wollte ein Zuhörer wissen, wie man seine Konzentrationsfähigkeit verbessern könne. Korte empfiehlt hier, das Meditieren zu erlernen. Gleich mehrere Studien belegen, dass regelmäßiges Meditieren vor allem das so wichtige Arbeitsgedächtnis trainiert. Des Weiteren fördere das Abweichen von der üblichen Routine und Lesen die Konzentrationsfähigkeit.
Auf die Frage, wie man sich Namen besser merken kann, antwortete Korte, dass unser Gesichtsgedächtnis zwar extrem gut sei, dass es aber keine Assoziationen zwischen Gesichtern und Namen gebe. Am effektivsten sei es daher, bei der Nennung von Namen genauestens zuzuhören, auch mal nachzufragen und den Namen zu wiederholen oder sich Eselsbrücken zu bauen.
Ob die Informatik das menschliche Gehirn nachbauen kann, wie einer der Zuhörer wissen wollte, bezweifelt Korte. Die Komplexität des menschlichen Hirns sei viel zu groß und auch die Sinnhaftigkeit des Versuchs sei zweifelhaft – schon weil die Zahl der Nervenzellen nicht einmal größenordnungsmäßig bekannt sei.
Welche Medien für Jugendliche förderlich seien, beantwortete Korte so: „Sie können alle legalen Medien gleichermaßen nutzen. Allerdings ist das zunächst weder förderlich noch hinderlich. Erst wenn die Jugendlichen die Funktionsweise verstehen und sich mit der Technik auseinandersetzen, ergebe sich wertvolles Verständnis. Man müsse zudem aufpassen, dass kein Multitasking bei Hausaufgaben praktiziert werde. Fernsehen beim Lernen führe zu Reizüberflutung und geringerer Lernleistung.
Verkümmert die Gedächtnisleistung durch die Verfügbarkeit von Informationen im Internet? Diese Befürchtung konnte Korte nicht bestätigen. Allerdings sieht er im erfolgreichen Zugriff auf das Wissen im Internet die neue Herausforderung, nicht im Speichern des Wissens auf der eigenen „Festplatte“.
Die Frage nach den Kapazitätsgrenzen des Gehirns beantwortete Korte mit der Anmerkung, dass man bisher zwar noch keine gefunden habe, dass aber das Speichern der Informationen auch nicht das Problem sei, sondern vielmehr das Abrufen. Dazu passte die abschließende Frage, welche Trends es derzeit in der Hirnforschung gebe. Korte sieht hier „Das Verstehen des Abrufens und Erinnerns von Informationen, die Entstehung kohärenter Bilder und die Simulation von Hirntätigkeiten. Zudem ist die Neurologie bisher zwar sehr gut in der Diagnostik, aber künftig soll sie auch für die Therapie erschlossen werden.“
Fazit: ein aufschlussreicher und kurzweiliger Vortragsabend zu einem aktuellen Thema, das mehr praktische Bedeutung hat, als man zunächst vermuten mag.“ Diese Erkenntnisse von Professor Korte sind gerade bei innovativen Entwicklungen, bei denen viel gelernt und gedacht wird, nützlich. Das Publikum dankte mit kräftigem Applaus für den gelungenen Vortrag. Eine Empfehlung für alle, die weiteres Wissenswertes aus der Hirnforschung erfahren möchten, ist Professor Martin Kortes neues Buch „Jung im Kopf“ aus dem DVA Verlag.
Anja Schaar-Goldapp